Russland in Sibirien: Der Griff nach dem Osten

Russland in Sibirien: Der Griff nach dem Osten
Russland in Sibirien: Der Griff nach dem Osten
 
Während sich westeuropäische Nationen ihre Kolonialreiche in Übersee schufen, breiteten sich die Russen vom eigenen Gebiet in direkter Richtung nach Osten und Südosten aus. Mit dem Zug des Kosakenführers Jermak Timofejewitsch in das Fürstentum Sibirien (Khanat Sibir) im Jahre 1581 setzte der koloniale Expansionismus des gerade erst gefestigten Moskauer Staates ein. Bereits 1648 war die Ostspitze Sibiriens erreicht. Damit hatten die Russen in weniger als siebzig Jahren den Grundstein für die Besitznahme des größten zusammenhängenden Kolonialgebietes überhaupt gelegt. Aber nicht nur, was die Schnelligkeit des Vordringens betrifft, auch im Hinblick auf die Unterdrückung und Ausrottung der unterworfenen Völkerschaften — 1989 machten die Ureinwohner noch gerade sechs Prozent der Bevölkerung Sibiriens aus — lässt sich die kontinentale Expansion Russlands durchaus mit den maritimen Unternehmungen der übrigen Europäer vergleichen.
 
 Jermaks Zug über den Ural
 
Erste Kontakte zu den Gebieten jenseits des Urals reichen bis in das 11. Jahrhundert zurück. Kaufleute aus Nowgorod holten von dort vor allem Pelze. Diese kaufmännischen Züge entwickelten sich im Laufe der Zeit immer mehr zu bewaffneten Expeditionen, die mit reicher Beute heimkehrten. Das systematische Vordringen setzte mit der Errichtung des Moskauer Großreichs nach der Abschüttelung der Tributherrschaft der Tataren, der »Sammlung der russischen Erde« von 1463 bis 1521 und der Proklamierung des Moskauer Großfürstentums zum Zarenreich ein. Am Anfang stand die Unterwerfung der als »Goldene Horde« bezeichneten Tataren-Khanate. Die Eroberung des Khanats von Kasan 1552 bedeutete die Angliederung der westlichen Uralgebiete und die Öffnung des Weges nach Sibirien, die des Khanats Astrachan 1556 brachte die Kontrolle über das gesamte Wolgagebiet bis zum Kaspischen Meer.
 
Bereits nach der Einnahme Kasans hatte Iwan IV., der Schreckliche, den Titel »Zar von Sibirien« angenommen, vorerst freilich eher ein Programm denn Wirklichkeit. Dennoch erfolgte am Ende seiner langen Regierungszeit von 1533 bis 1585 der erste Schritt zur Kolonialeroberung Sibiriens. Durchführen sollte das Unternehmen die Nowgoroder Großhändlerdynastie der Stroganows, womit sich gleich zu Beginn des russischen Expansionismus die auch für die Folgezeit typische Konstellation des Wechselspiels von staatlichen und privaten Interessen sowie Initiativen ergab.
 
Mit der Durchführung des Unternehmens beauftragte die Familie den Kosakenführer Jermak. Er gehörte zu jenen »freien Kriegern« (kazak), die in militärisch organisierten Reiterverbänden am unteren Lauf der Wolga, des Don und des Dnjepr lebten und die zwischen den slawischen Christenreichen Osteuropas und den muslimischen Khanaten ihren Lebensunterhalt mit Flusspiraterie, Raubzügen und als Söldner verdienten. Dem russischen Kolonialstaat waren sie schließlich geradezu unentbehrlich als Vorhut der Kolonialeroberung und zur Aufrechterhaltung des kolonialen Regiments.
 
Mit etwas mehr als 800 Mann, ausgerüstet mit Feuerwaffen und Kanonen, überschritt Jermak im Jahre 1581 den Ural und eroberte im folgenden Jahr das Khanat Sibir, das dem gesamten Gebiet östlich des Urals den Namen geben sollte. Einheimische Völker wie die Ostjaken und Wogulen wurden zu Tributzahlungen verpflichtet. Plündernd zogen die Kosaken im Gebiet zwischen Ob, Tobol und Irtysch umher, bis der noch keineswegs völlig besiegte Khan Kutschum am 5. August 1584 ihr Lager am oberen Irtysch überfiel. Bei diesem Vorfall verlor Jermak sein Leben. Für das Russland des 19. und 20. Jahrhunderts ist der Kosakenführer immer ein Volksheld geblieben, der Sibirien »geöffnet« und einen entscheidenden Sieg des christlichen Russland über die »Heiden« errungen hatte.
 
 Der Weg zum Pazifik
 
Vorerst sollten Jermak und seine Kosaken jedoch in Moskau in Ungnade fallen. Der Zar bezeichnete sie als »Räuber und Rebellen«. Nach der Beendigung des Livländischen Krieges 1582/83 erinnerte man sich jedoch wieder an Sibirien, zumal Jermak wertvolle Pelze mitgebracht hatte. Die endgültige Unterwerfung der sibirischen Khanate gelang den Truppen des Zaren. Zur Kontrolle des Gebietes errichteten deren Kommandeure befestigte Stützpunkte an den Flüssen, von denen sich einige zu wichtigen Städten — wie Tobolsk ab 1587 — entwickelten. Von diesen Stützpunkten aus drangen Pelztierjäger, Händler und Kosaken längs der Stromsysteme und Portagen — geeigneten Stellen zum Transport der flachbodigen Schiffe von Fluss zu Fluss — weiter nach Osten vor. Im Norden hatten erste russische Siedlungen bereits vor Jermaks Zug bestanden. Die Russen tauschten bunte Glasperlen und Metallwaren gegen Zobel-, Marder- und Biberpelze mit den dort lebenden Samojeden. Zentren russischer Oberherrschaft in diesem Raum wurden die Städte Berjosowo und Obdorsk. Kosaken und aus Einheimischen rekrutierte Hilfstruppen drangen von dort aus weiter nach Osten vor. Anfang des 17. Jahrhunderts erreichte eine Gruppe den Jenissej; von Ob und Irtysch stießen andere Trupps im gleichen Zeitraum nach Süden vor. Um 1620 war die Annexion Westsibiriens vollendet, russische Herrschaft vom Ural bis zum Jenissejtal und vom Nordpolarmeer bis zur Steppengrenze im Süden etabliert.
 
In den folgenden dreißig Jahren drangen die Russen nach Zentral- und Nordostsibirien vor. Die Richtung gaben die Wasserwege vor, die von Osten in den Jenissej mündeten, sowie das Flusssystem der Lena. Zentralsibirien wurde von einer nördlichen und einer südlichen Route erschlossen. Schnittpunkt beider Stoßrichtungen wurde das 1632 gegründete Jakutsk, das bereits um 1650 3000 Russen beherbergte. Von dort ging schließlich die Angliederung Ostsibiriens an das russische Kolonialreich aus. Auch sie verlief in zwei Stoßrichtungen, nach Nordosten und nach Osten auf das Ochotskische Meer zu. 1639 erreichte der Kosak Iwan Moskwitin mit zwanzig Begleitern den Pazifik. Acht Jahre später wurde Ochotsk am Endpunkt ihrer Reise gegründet, der erste befestigte Stützpunkt am Pazifik. 1648 umschiffte der Kosak Semjon Deschnjow, angetrieben von dem Mythos eines Landes mit Silberbergen und Zobelherden, die Ostspitze Sibiriens und erreichte die Mündung des Flusses Anadyr. Fast 80 Jahre vor Vitus Jonassen Bering hatte er damit als erster Europäer die Meeresstraße zwischen Asien und Amerika durchfahren.
 
Im Süden und Südosten Sibiriens setzten dagegen Mongolen und Chinesen dem russischen Expansionismus Grenzen. Als erstes mongolisches Volk begegneten den Russen 1628 die um den Baikalsee angesiedelten Burjaten; mit den östlichen, lamaistischen Burjaten kamen russische Pelzjäger und Kosaken Ende der 1640er-Jahre in Kontakt. 1652 wurde Irkutsk als Außenposten gegründet. Noch bis Ende des 17. Jahrhunderts haben die Burjaten den Russen heftigen Widerstand entgegengesetzt. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts begannen sie sich mit ihnen zu vermischen: Sie bildeten den Kern der Kosakenregimenter in Transbaikalien.
 
Im Südosten drangen die Russen vom Gebiet der Jakuten aus auf der Suche nach Getreide für Ostsibirien in das fruchtbare Amurbecken vor. Mit der dann 1651 erfolgten Gründung des zentralen Stützpunktes Albasin am mittleren Amur waren die Russen aber in den Einflussbereich der Mandschu geraten, die sich 1644 zu Herren Chi- nas gemacht hatten. 1658 erlitt ein eilig aufgestelltes, bunt zusammengewürfeltes russisches Heer eine empfindliche Niederlage gegen Mandschu-China. Infolge der chinesischen Überlegenheit verzichtete Russland im Vertrag von Nertschinsk 1689 — bei dessen Verhandlungen zwei Jesuiten der Pekingmission als Dolmetscher und Vermittler dienten — auf bereits besetztes Gebiet im Amurbogen und anerkannte eine Grenzlinie längs der Wasserscheide zwischen Lena- und Amurbecken. Der Vertrag von Kjachta 1727, der bis Mitte des 19. Jahrhunderts gültig blieb, legte schließlich die in ihrem gesamten Verlauf bis zum Pazifik neu markierte sibirisch-mongolische Grenze fest und schloss — bis auf den Kjachta-Handel — die Grenze zu China.
 
 Das »weiche Gold«
 
Vorangetrieben und in seiner Art und Weise bestimmt wurde der russische Expansionismus in Sibirien durch den Pelzhandel. Bereits in Wikingerzeiten waren nordrussische Pelze als wertvolle Handelsware nach Europa gelangt. Auch im ehemaligen Byzantinischen Reich, im islamischen Mittleren Osten und in China bestand ein Markt für die kostbaren Silberfuchs- und Zobelpelze. Im 17. Jahrhundert wurden jährlich bis zu 100000 Felle aus Sibirien geliefert; 1644 machten die Einnahmen aus Pelzen und Abgaben aus dem Pelzgeschäft zehn Prozent der russischen Staatseinnahmen aus. Bereits 1595, als man in Europa einen Beitrag Moskaus zu den Türkenkriegen forderte, sandte der Zar eine Lieferung sibirischer Felle an Kaiser Rudolf II. Sie repräsentierte den Gegenwert von 400000 Rubeln und erregte beträchtliches Aufsehen. Im 18. Jahrhundert ging das Schwergewicht des Pelzhandels vom weitgehend ausgerotteten Zobel auf den Seeotter über. Wenn auch die seit der Zeit Peters des Großen (1689—1725) vorangetriebene Industrialisierung Sibiriens immer mehr an volkswirtschaftlicher Bedeutung gewann, behielt das Pelzgeschäft doch bis in das 19. Jahrhundert seine Bedeutung.
 
Die Erschöpfung der Pelztierbestände in den erschlossenen Flussniederungen führte die Russen in einem immer schnelleren Tempo nach Osten. Jäger, Händler, aber auch im Dienst des Staates stehende Personen rüsteten auf eigene Kosten Expeditionen aus, für deren Bewilligung sie eine bestimmte Anzahl von Fellen abzuliefern hatten. Außerdem gehörte von jeder Pelzausbeute der zehnte Teil dem Staat. Die größten Einnahmen des Kolonialstaates stammten jedoch aus den Zwangsabgaben der einheimischen Bevölkerung. Ihnen wurde der jassak auferlegt, ein in Fellen zu erbringender Tribut. Dieses Verfahren der Untertanenbesteuerung hatten schon die Tataren praktiziert. Das von den Russen geschaffene Netzwerk von Städten und Stützpunkten diente neben der Herrschaftssicherung daher in erster Linie dem Einzug des Tributs bei den einheimischen Völkern.
 
Die russischen Eroberer hatten es mit zahlenmäßig kleinen Naturvölkern zu tun, die sich als Nomaden oder Halbnomaden von Jagd, Fischfang, Rentierzucht und dem Anbau von Gemüse und Getreide ernährten. Weitgehend waren diese dem Schamanismus zugetan, einer von Naturgeistern, Ahnenkult und Tieropfer geprägten Religion. Militärisch waren sie den Russen zwar hoffnungslos unterlegen, setzten ihnen aber meist — wie namentlich die Tschuktschen und Korjaken in Nordostsibirien — einen lang andauernden erbitterten, immer wieder aufflammenden Widerstand entgegen. Einige Ethnien wie beispielsweise die Jukagiren, die in den Gebieten zwischen der unteren Lena und der Andyrmündung im Osten lebten, wurden wegen dieser Haltung beinahe ausgelöscht. Hinzu kam, dass die sibirischen Völker zu jenen bis dahin isoliert lebenden Ethnien — wie die Indianer Nordamerikas oder die Südseebewohner — gehörten, die als Folge des Erstkontakts mit den Europäern gegenüber deren Krankheitserregern keine Abwehrstoffe besaßen und in großer Zahl Seuchen und Epidemien erlagen.
 
Die Reaktion der Russen auf Widerstand bestand in äußerst brutalen Strafexpeditionen, wobei gefangene Rebellenführer in der Regel gehängt wurden. Nicht anders gingen sie bei der Eintreibung des jassak vor. Obgleich die Regierung ihren Beamten in einem Edikt um 1640 hinsichtlich der Einheimischenbehandlung eingeschärft hatte, »den jassak für den Gossudar (Zar) mit Güte und Freundlichkeit einzuziehen, nicht mit Grausamkeit«, wurden Geiseln, meist Frauen und Kinder, die man nach den Gehorsamseiden der Klanoberhäupter genommen hatte, erbarmungslos getötet, wenn die geforderte Anzahl von Fellen ausblieb. Ganze Volksteile wurden versklavt. Viele einheimische Völker suchten daher den Russen auszuweichen und verlegten ihre Wohnsitze.
 
 Die Kamtschatka-Expeditionen
 
Unter Peter dem Großen änderte sich die russische Sibirienpolitik in mehrfacher Beziehung. Zum Ersten suchte der große Modernisierer des russischen Staates, dem bislang eher spontanen Vordringen in Sibirien eine konsequentere Zielrichtung zu geben. Dazu gehörte, Informationen über die Beschaffenheit des Landes und die Art seiner Bevölkerung zu sammeln und zu verwerten. Neben die bisherigen Beutezüge traten daher vom Staat organisierte und finanzierte Forschungsexpeditionen. Zum Zweiten erhielten nun fast alle Unternehmungen — ein weiterer neuer Aspekt — eine geostrategische und machtpolitische Motivation. Unter Peter gewann damit die bisherige, quasi natürliche Ausdehnung nach Osten eine national-imperialistische Ausrichtung. Sibirien wurde jetzt bewusster als Erweiterung des Russischen Reiches angesehen, zugleich wurde aber bereits eine Ausdehnung über die östlichen Grenzen hinaus ins Auge gefasst. Schließlich beabsichtigte der Zar, aus den territorialen Gewinnen einen vermehrten Nutzen zu ziehen. Damit richtete sich das Augenmerk verstärkt auf die reichen Bodenschätze Sibiriens.
 
Die Devise »Zobel für den Zaren« verlor Peter deshalb nicht aus den Augen. Da er für seine Kriege im Westen sofort Geld brauchte, unterwarf er 1697 den gesamten Pelzhandel einem Staatsmonopol und gab den Militärgouverneuren Sibiriens die Order, »neue Länder« als Quellen für Zobelpelze zu entdecken. Ein erstes größeres Unternehmen, das territorialen Gewinn mit wissenschaftlicher Aufklärung verband, war die Expedition des Kosakenoffiziers Wladimir Atlassow, der mit 60 Kosaken und 60 einheimischen Soldaten auf die Halbinsel Kamtschatka vordrang, die dortigen Korjaken und Itelmenen, auch Kamtschadalen, zum jassak zwang und erste Nachrichten über die Kurilen übermittelte.
 
Auf Atlassows Entdeckungen und Erkenntnissen sowie Anregungen, die von dem deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz ausgingen, bauten die beiden großen Kamtschatka-Expeditionen von 1725 bis 1729 und von 1733 bis 1743 auf, die unter der Leitung des dänischen Seefahrers Vitus Jonassen Bering standen. Sein Auftrag lautete, von Kamtschatka aus die vermutete Meerenge oder Landverbindung zwischen Asien und Amerika zu suchen — Deschnjows Bericht war nicht nach Moskau gelangt —, aber auch herauszufinden, »ob man bis zu einer Stadt in den europäischen Besitzungen fahren kann«, wie es Peter noch selbst formuliert hatte. Bering brauchte allein zwei Jahre, um von Sankt Petersburg auf dem Landweg bis Kamtschatka zu gelangen. Er entdeckte die Sankt-Lorenz-Insel, die er für Festland hielt, und stieß durch die nach ihm benannte Beringstraße ins Tschuktschenmeer vor, wo ihn heftige Stürme zur Umkehr zwangen.
 
Als auf Veranlassung von Admiralität, Kommerzkollegien und Wissenschaftlern der Sankt Petersburger Akademie eine zweite Kamtschatka-Expedition ausgerüstet wurde, konnte der Däne einen zweiten Versuch unternehmen. Im Rahmen dieser Großen Nordischen Expedition, die die gesamte Küste Sibiriens von Archangelsk am Weißen Meer bis zu den japanischen Gewässern vermessen und deren wissenschaftliches Begleitpersonal eine vollständige historische, physische, botanische, ethnographische und sprachgeographische Beschreibung Sibiriens erstellen sollte, erhielt er den Auftrag, die Ostküste Sibiriens und die Nordwestküste Amerikas geographisch zu erforschen und Möglichkeiten von Handelsbeziehungen mit Amerika und Japan zu erkunden. Mit zwei Schiffen, der »Sankt Peter« und der »Sankt Paul«, nahm Bering Kurs auf die nordamerikanische Küste. Zu seinem wissenschaftlichen Stab gehörte der deutsche Naturforscher Georg Wilhelm Steller, der auf dieser Reise unter anderem die nach ihm benannte und bald danach ausgerottete »Stellersche Seekuh« entdeckte. Das zweite Schiff stand unter dem Kommando des Russen Alexander Tschirikow. Es erreichte am 15. Juli 1741 den Alexanderarchipel. Bering entdeckte die Aleuten und erblickte auf seiner Weiterfahrt am 20. Juli 1741 den Mount Saint Elias, Nordamerikas dritthöchsten Berg. Doch der an Skorbut leidende, bereits tödlich erkrankte Kapitänkommandeur nahm den Anblick »sehr gleichgültig hin und zeigte keinerlei Freude«, wie Steller in seinem Tagebuch vermerkte. Die Alaskahalbinsel entlangsegelnd, fand Bering weitere Inseln, zuletzt die nach ihm benannten Kommandeurinseln. Hier starb er am 13. August 1741. Zu den Verdiensten der von ihm geleiteten Großen Nordischen Expedition gehören neben den Entdeckungen im Bereich der russischen Pazifikküste und vor Alaska die ersten Schritte zur wissenschaftlichen Erschließung der geographischen Verhältnisse Sibiriens und seiner vorgelagerten Inselwelt, der in den durchquerten Regionen lebenden Völkerschaften, der dortigen Flora und Fauna sowie der Bodenschätze.
 
 Russisch-Amerika
 
Die gewissermaßen konsequente Folgerung, die sich aus den Expeditionen Berings und Tschirikows ergab, lag in der Fortsetzung des russischen Expansionismus in den pazifischen Raum. Wiederum stellte das »Pelzfieber« die treibende Kraft für die Überschreitung der maritimen Grenze dar. Bereits zwei Jahre nach dem Tod des dänischen Seefahrers auf den Kommandeurinseln landeten Pelztierjäger auf dieser 250 Kilometer östlich von Kamtschatka gelegenen Inselgruppe. Weitere zwei Jahre später erreichte ein Schiff die Aleuten, und bis um die Mitte der 1760er-Jahre waren die wichtigsten Aleuteninseln bekannt. Auf ihnen lockte vor allem der Seeotter, dessen Fell beim Mandschuadel besondere Wertschätzung genoss. In der letzten Dekade des 18. Jahrhunderts sind über 100000 dieser kostbaren Tiere getötet worden. Kaum weniger radikal gingen die Russen mit den Menschen um. Die Ureinwohner wurden drangsaliert — es galt ein Verbot, Kanus für mehr als zwei Personen zu bauen —, versklavt oder getötet. Mit zwangsrekrutierten aleutischen Hilfstruppen setzten die Russen schließlich nach Alaska über, das sie 1761 erreichten.
 
Die wirtschaftliche Ausbeutung des nordpazifischen Raumes und Alaskas überließ der russische Kolonialstaat jetzt allerdings privilegierten Kaufleuten, zum einen, weil der jassak mit dem Schwinden der Pelztierbestände immer mehr an Bedeutung verlor, zum anderen, weil mit der Niederlassung auf dem amerikanischen Kontinent außenpolitische Gesichtspunkte an Bedeutung gewannen. Die finanziell stärkste der Pelzhandelsgesellschaften erhielt 1799 als »Russisch-Amerikanische Kompanie« von Zar Paul I. für Amerika und den nordpazifischen Raum ein Handelsmonopol.
 
Als auch im westlichen Alaska der Seeotter nahezu ausgerottet war, dehnte sich der Aktionsraum der Kompanie weiter in südliche Richtung bis nach Nordkalifornien aus. Mit dem Erreichen dieser klimatisch günstigeren Zone entwickelte sich gleichzeitig der Gedanke einer Siedlungskolonisation. Allerdings hatte das Vordringen der Russen hastige Gegenmaßnahmen der Spanier im Süden zur Folge, wohingegen es mit den Amerikanern anfangs sogar zu Jagd- und Schiffsgemeinschaften kam. 1812 errichteten die Russen Fort Ross — der Name ist abgeleitet vom russischen Wort für »Russland«, Rossija — nördlich von San Francisco und schlossen 1817 mit den Indianern der Umgebung einen Landabtretungsvertrag.
 
Die Aktivitäten der Kompanie in Amerika korrespondierten weitgehend mit hochfliegenden Plänen des zaristischen Staates von einem russisch dominierten Nordpazifik und einem weiten Netz von Handelsstützpunkten zwischen Japan und Südamerika. Von 1803 bis 1806 fand die erste russische Erdumsegelung unter Adam Johann von Krusenstern statt, weitere 35 Weltexpeditionen sollten folgen. Als sich die Russen 1816/17 auf Hawaii niederließen, schienen sie den natürlichen Mittelpunkt ihres projektierten pazifischen Imperiums gefunden zu haben. Die Inselgruppe war zugleich als Versorgungsstation für Alaska gedacht. Verträge mit einheimischen Herrschern zielten deshalb darauf ab, neben Plätzen für Handelsniederlassungen Land zur Anlage von Plantagen zu erhalten. Da jedoch die Ambitionen der Kompanie mit amerikanischen und britischen Interessen auf Hawaii zusammenstießen, zog es Zar Alexander I., der Vater der »Heiligen Allianz«, aus außenpolitischen Überlegungen 1819 vor, alle weiteren Aktivitäten der Kompanie zu untersagen.
 
Auch das russische Abenteuer in Kalifornien neigte sich bald dem Ende zu. Als die Russisch-Amerikanische Kompanie 1821 den Versuch unternahm, ein Jagd-, Handels- und Schifffahrtsmonopol an der nordwestamerikanischen Küste durchzusetzen, stieß sie auf den Widerstand der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Es folgte, bei zunächst weitgehenden Konzessionen im Bereich von Schifffahrts- und Fischereirechten, ein De-facto-Rückzug auf die Grenzen des heutigen Alaska. Im Jahre 1841 überließ die Kompanie das bis dahin russische Kalifornien dem aus der Schweiz nach Amerika eingewanderten John Sutter für 30000 Dollar. 7,2 Millionen Dollar erhielt sie, als sie 1867 Alaska an die Vereinigten Staaten verkaufte. Ein Jahr später löste sich die Kompanie selbst auf.
 
 »Die Knute folgt der Flagge«
 
Die frühe Besiedlung Sibiriens beruhte zum einen auf dem spontanen, unkontrollierten Zufluss russischer Bürger, zum anderen auf der systematischen Organisation durch den russischen Staat. Ausgangspunkte waren die befestigten militärischen Stützpunkte (ostrogs), aus denen sich oft Dörfer und Städte entwickelten. Das typische russische Dorf der Pionierphase bestand aus einem mit Palisaden versehenen Fort mit den Garnisonen der Kosaken und Dienstverpflichteten, dem Gefängnis und einer Kirche. Außerhalb der Wälle befanden sich das Handelsviertel, kirchliche und andere Bereiche. In Blockhäusern wohnten die »alten Sibirier«, Beamte und Soldaten, die ihren Dienst quittiert hatten, Händler, Handwerker, Waldläufer, Priester und Mönche. Die Frauen holte man sich mehr oder weniger gewaltsam aus der einheimischen Bevölkerung oder kaufte sie.
 
Bei den bäuerlichen Siedlern handelte es sich anfänglich um Staatsbauern, da die Mehrzahl der russischen Bauern seit dem 16. Jahrhundert schollenpflichtig waren und jede Art der Zwangsrekrutierung auf den Widerstand der Beamten und des Adels der russischen Provinzen stieß. Dennoch bestand die Hauptmasse der bäuerlichen Kolonisten Sibiriens aus Läuflingen, das heißt schollenpflichtigen Bauern, die sich heimlich, teilweise mithilfe professioneller »Umsiedlungsagenten«, nach Sibirien begaben; gab es dort doch weder landsässigen Adel noch Leibeigenschaft. Ein weiteres wichtiges Element der Besiedlung stellten die Kosaken dar, die sich nach ihren unterschiedlichen Aufgaben im Dienst des Staates als Bauern niederließen. Vor allem wurden sie jedoch in den Marken entlang der Grenzen angesiedelt. Später kamen Siedler aus der Ukraine, Weißrussland, dem Baltikum und den deutschen »Mutterkolonien« in der Ukraine oder an der Wolga. In den Städten ließen sich neben den Beamten, Soldaten und Kirchenangehörigen vor allem Juden und Tataren nieder.
 
Aufständische, »Räuber« und »Verbrecher« wurden schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Sibirien gebracht. Es war aber erst Zar Peter I., der Deportationen von Kriminellen, politischen und Kriegsgefangenen sowie von Altgläubigen im großen Stile durchführen ließ. Bei den Altgläubigen handelte es sich um Angehörige der russisch-orthodoxen Kirche, die die Liturgiereform von 1654 mit ihrer starren philologischen Rückführung der in Jahrhunderten gewachsenen Moskauer Tradition auf das griechische Urbild ablehnten oder sich gegen die staatskirchliche Politik des Zaren wehrten. Die ersten Kriegsgefangenen, die nach Sibirien gebracht wurden, waren Offiziere, Soldaten und Seeleute des schwedischen Heeres aus dem Großen Nordischen Krieg. Vor allem waren aber immer wieder Polen betroffen, die als Folge der Teilungen ihres Staates oder ihrer Aufstände gegen die russische Herrschaft im 19. Jahrhundert in die Verbannung nach Sibirien geschickt wurden. Politische Gefangene waren in der Mehrzahl in Ungnade gefallene Adlige, sie stammten aber auch aus dem Kreis bürgerlicher politischer Oppositioneller und Aufklärer. Namhafte politische Häftlinge waren die Dichter Aleksandr Nikolajewitsch Radischtschew (1749—1802), dessen humanitär-aufgeklärter Protest sich gegen Autokratie und Leibeigenschaft richtete, sowie Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij (1821—81). Im Jahre 1825 wurde eine Gruppe zumeist adliger Verschwörer, die Dekabristen, nach Sibirien verbannt. Die bei weitem größte Anzahl von Deportierten stellten jedoch die Strafgefangenen und Kriminellen. Bereits unter Peter dem Großen wurden sie vor allem in die Bergwerke und großen Produktionsstätten geschickt.
 
Schwerpunkt der russischen Durchdringung und Besiedlung war und blieb der südwestsibirische Schwarzerdegürtel, insbesondere, nachdem der zwischen 1760 und 1770 erbaute »Große Sibirische Postweg« (trakt) eine Verkehrsverbindung zwischen Moskau und Irkutsk schuf und russische Siedler, Beamte, Kaufleute und Kleriker nach Westsibirien strömten. Erst der von den Gold- und Silberfunden ausgelöste »Run« trug zu einer wachsenden Bevölkerungszahl auch im Osten bei. Lag die Anzahl der Einwohner Sibiriens Mitte des 17. Jahrhunderts bei ungefähr 1500 und stieg sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nur langsam auf etwa eine Million, so erreichte sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts bereits 2,7 Millionen, während der Anteil der einheimischen Bevölkerung immer weiter zurückging. Der große Bevölkerungsaufschwung Sibiriens setzte aber erst nach der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 und der Eröffnung der zwischen 1891 und 1904 erbauten Transsibirischen Eisenbahn ein, der längsten Eisenbahnstrecke der Welt.
 
 Ein »Königreich Sibirien«?
 
Mit der religiös-nationalen Idee von Moskau als dem »dritten Rom« besaß der russische Staat auch eine eigene Sendungsideologie. Sie beruhte auf jener nach 1510 unter dem Einfluss des russischen Mönchtums entwickelten Vorstellung, dass Moskau nach dem Untergang erst Roms und dann 1453 Konstantinopels als letzter und einziger Hort des rechten Glaubens, der Orthodoxie, das dritte — und letzte — Rom sei. Hinter diesem imperialen Programm verbarg sich nicht nur eine ideologische Fundamentierung des neuen Machtzentrums im Osten Europas, sondern es gewährte zugleich die Rechtfertigung und das gedankliche Instrument zur Durchsetzung und Festigung kolonialer Herrschaft. Grundsätzlich ist daher das Christentum in seiner russisch-orthodoxen Bekenntnisform als ideologische und rituelle Begleiterscheinung des russischen Kolonialexpansionismus aufgetreten. Dennoch besaß der Missionierungseifer der Russen einen sehr pragmatischen Aspekt: Wo es ihnen aus machtpolitischen Gründen vernünftiger erschien, bestehende Religions- und Kultformen zu respektieren, haben sie auf eine Zwangschristianisierung verzichtet.
 
Die erste intensive Bekehrungskampagne ist einmal mehr mit dem Namen Peters des Großen verbunden. 1702 machte er seinen Günstling Filofej Leschtschinskij zum Bischof von Tobolsk, damit ein Zeichen für die Christianisierung Westsibiriens setzend. 25 Jahre später kam als zweites Bistum Irkutsk für Ostsibirien hinzu. Klöster und Kirchen folgten auf den Spuren der Kolonisten. 1706 und 1710 ergingen Dekrete Peters, die Ostjaken und Wogulen Westsibiriens zur Orthodoxie zu bekehren. Mit der Zerstörung ihrer Idole und Kultstätten setzte eine rücksichtslose Mission ein, der zufolge beide Völker bereits 1712 als Christen galten. Unter der Oberfläche ihres neuen Glaubens blieben die meisten jedoch Anhänger ihrer schamanistischen Religionsform, wobei es für sie keine Probleme machte, den russischen Erzheiligen Sankt Nikolaus in ihr Götterpantheon aufzunehmen. Das gleiche Verhalten traf auf die Jakuten und westlichen Burjaten zu, die allenfalls ein Kreuz um den Hals tragen mochten, im Übrigen aber ihrem alten Glauben treu blieben. Die Jakuten hatte man von Irkutsk aus mit Geschenken und einem fünfjährigen Erlass des jassak für das Christentum geworben.
 
Auf der anderen Seite hat Peter den islamischen Glauben der Tataren Westsibiriens audrücklich geschützt. Noch weiter ging Katharina die Große (1762—96), die die Erlaubnis zum Bau von Moscheen in der Kirgisensteppe erteilte und den Mullahs ein staatliches Gehalt zahlte. Bei den buddhistischen Mongolen in Transbaikalien, den östlichen Burjaten, wurde sogar der Posten eines Schamba-Lama als Haupt der russischen Buddhisten geschaffen. Mitte des 19. Jahrhunderts begrenzten die Russen allerdings die Zahl der Lamas auf 255, und neue Klöster durften nicht mehr eingerichtet werden. Im gleichen Zeitraum setzten bei den westlichen Burjaten massive Missionierungsversuche ein, unter anderem mithilfe englischer Sendboten. Im Nordosten Sibiriens, in Kamtschatka, auf den Aleuten und in Alaska hatte man bereits Versuche einer gewaltsamen Missionierung im Zuge der Eroberung im 18. Jahrhundert unternommen.
 
Die meisten der durch Zwangs- und Massentaufen Bekehrten haben ihren alten Glauben aber nicht aufgegeben; entwickelten sich daher eher synkretistische Religionsformen. Der im Kolonialismus der Westeuropäer, insbesondere der Portugiesen und Spanier, praktizierte Versuch, Religion zur Schaffung eines gleich gearteten Untertanenverbandes heranzuziehen, gelang daher allenfalls hinsichtlich der kollaborationsbereiten Stammesführer und Klanoberhäupter. Für den einheimischen Feudaladel — etwa die Führungsschicht der Jakuten und Burjaten — bedeutete die Taufe und die Annahme eines russischen Namens das Eintrittsbillet in die russische Gesellschaft und den Aufstieg in den russischen Erbadel. Umgekehrt sind jedoch auch die wenigen Russen durch ihre Umgebung in hohem Maße geprägt worden, sodass von wechselseitigen kulturellen Angleichungsprozessen gesprochen werden kann.
 
Betrieb der russische Kolonialstaat die Missionierung Sibiriens eher mit halbem Herzen, so war er von Anfang an mit desto größerem Engagement an den Einkünften aus den neuen Länder interessiert. Bereits 1637 wurde in Moskau ein »Sibirisches Amt« eingerichtet, dessen vornehmste Aufgabe im Anfangsstadium russischer Herrschaft es war, den einheimischen Völkern den jassak abzuzwingen. Die Pelze brachten vor allem in China hohe Gewinne. In der Regel zog alle drei Jahre eine offizielle Handelskarawane mit diesem wichtigsten Handelsgut nach Peking und kehrte mit Gold, Seide, Damast, Porzellan und später Tee zurück. Daneben existierte allerdings ein ungeheuerer Pelz- und Lederschmuggel nach China. Der auf diese Weise steinreich gewordene erste Generalgouverneur von Sibirien, Fürst Matjew Petrowitsch Gagarin, büßte freilich seine illegalen Geschäfte 1720 mit der öffentlichen Enthauptung.
 
Neben dem von Peter dem Großen staatlich lizenzierten Pelzhandel beanspruchte der Staat ein Monopol auf Salz, Pottasche, Branntwein, Bier, Honigwein, Tabak und später Kaffee. Seit 1747 kamen auch die Bergwerke unter staatliche Regie. Zentren des Bergbaus wurden die Eisen- und Kupferminen bei Jekaterinburg, die Gold- und Silberförderstätten um Krasnojarsk und bei Nertschinsk im Altaigebiet und die Kohlegruben von Kusnezk. Zwischen 1747 und 1861 förderten die Bergwerke des Altai mehr als zweitausend Tonnen Silber, das durch Gold reich gewordene Krasnojarsk beschäftigte im Jahre 1861 über zweitausend Bergleute. Der Versorgung dieser industriellen Zentren mit Verbrauchsgütern wie Fisch, Fleisch, Getreide und nicht zuletzt Wodka diente der neben dem Fernhandel bereits früh entstandene innersibirische Handel mit seinen großen Messen in Irbit, Tobolsk, Omsk, Tomsk, Krasnojarsk, Jenissejsk, Irkutsk und Kjachta.
 
Kontrolliert und einigermaßen zusammengehalten wurde das gesamte sibirische Kolonialreich durch die fast allmächtigen Provinzgouverneure, Militärkommandanten und Verwaltungsbeamten. Da sie — wenn überhaupt — nicht sonderlich hohe Gehälter bezogen, waren sie in der Regel korrupt und auf ihre eigene Bereicherung bedacht. Selbstverständlich erwarteten sie von den tributpflichtigen Völkern entsprechende »Geschenke«. Ohnehin floss ein beachtlicher Teil des jassak in ihre Taschen. Später gaben die Militärkommandeure und höheren Beamten das Recht zu dessen Einziehung an »vereidigte Männer« weiter, die statt eines Gehalts etwa die Konzession für eine Schnapsbrennerei und die Betreibung einer Schankstube erhielten. Ebenso wurden die Klan- und Stammesoberhäupter der unterworfenen Völker mit dem Einzug des jassak betraut, die Tribute bestanden nach der jeweiligen Erschöpfung der Pelztierbestände in Geld. Seit der Abschaffung des Geiselsystems 1763 haftete der gesamte Klan für die Abgaben.
 
1822 teilte eine Verwaltungsreform die einheimischen Völker in Sesshafte, Nomaden und »Wandernde« ein. Nur die Angehörigen der beiden letzten Kategorien hatten den jassak zu zahlen, die Sesshaften die weit höhere Kopfsteuer. Eine beschränkte Selbstverwaltung existierte mit der Einrichtung von Klanräten, Direktorien und Steppenräten. Selbstverständlich galt alles Land, das wichtigste Kapital der Kolonie, als Staatseigentum. Katharina die Große spielte immer wieder mit dem Gedanken der Einrichtung eines »Sibirischen Königreiches«, ließ ihn schließlich aber fallen. Dafür wurde Sibirien 1783 in acht Provinzen eingeteilt, es wurden eine einheitliche Verwaltung geschaffen sowie die noch bestehenden Sonderrechte einheimischer Fürsten abgeschafft. Im 19. Jahrhundert gingen alle noch so geringen Reformen des russischen Staates an Sibirien spurlos vorbei. Als in den 1860er-Jahren Studenten die Idee einer sibirischen Selbstständigkeit verfochten, bezahlten sie ihre Pläne mit der Verurteilung zu Zwangsarbeit in Sibirien.
 
Prof. Dr. Horst Gründer, Münster
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Russlands Aufstieg (seit 1682): Großmacht im Osten
 
Russland: Die Expansion nach dem Krimkrieg
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Russland (bis 1667): Vom Großfürstentum Moskau zum Russischen Reich
 
 
Awwakum: Das Leben des Protopopen Awwakum, herausgegeben von Rudolf Jagoditsch. Aus dem Altrussischen. Berlin 1930.
 Forsyth, James: A history of the peoples of Siberia. Russia's North Asian Colony. 1581-1990. Neuausgabe Cambridge 1994.
 Lincoln, W. Bruce: Die Eroberung Sibiriens. Aus dem Amerikanischen. München u. a. 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

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